Die Bonitätsurteile der Ratingagenturen und ihre Folgen für den Anlegerschutz

Im Kontext der Anlegerschutzthematik wird in der Regel hauptsächlich auf die Pflichten von Finanzinstituten fokussiert. Der Anlegerschutz ist indes ein vielschichtiger und weitreichender Begriff, der über den ausdrücklichen Schutzauftrag der Finanzintermediäre hinausgeht. Auch Ratingagenturen nehmen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle ein.

Inwiefern sind Ratingagenturen für den Anlegerschutz relevant?

Ratingagenturen tragen massgeblich zum Anlegerschutz bei, indem sie die Bonität resp. Kreditwürdigkeit von Staaten, Unternehmen, Finanzinstituten sowie deren Finanzprodukten und Wertpapieremissionen bewerten und so Anleger bei der entsprechenden Anlagebeurteilung unterstützen. In den zugrundeliegenden Analysen werden quantitative sowie qualitative Faktoren berücksichtigt, dazu zählen etwa wesentliche Finanzkennzahlen wie Cashflow und Verschuldungsgrad, aber auch Wettbewerbsfähigkeit, Strategie und Managementqualität. Die Ratings liefern Einschätzungen zum Ausfallrisiko und zur Fähigkeit des Emittenten, seine finanziellen Verbindlichkeiten fristgerecht zu bedienen. Damit bilden die Ratings eine wichtige Grundlage für die Anlageentscheidungen von Investoren.

Welche regulatorischen Vorgaben gelten für Ratingagenturen?

Aufgrund ihres Einflusses und ihrer Bedeutsamkeit innerhalb der Finanzmärkte unterliegen Ratingagenturen in vielen Jurisdiktionen spezifischen regulatorischen bzw. aufsichtsrechtlichen Bestimmungen. So hat die EU in ihrer Verordnung über Ratingagenturen (1060/2009) konkrete Voraussetzungen und Qualitätsanforderungen definiert, welche die Ratingagenturen erfüllen müssen. Folgende Aspekte sind dabei zentral:

  • Unabhängigkeit und Vermeidung von Interessenkonflikten:
    Um die Integrität und Zuverlässigkeit ihrer Ratings sicherzustellen, müssen Ratingagenturen in ihrer Tätigkeit unabhängig sein und frei von Interessenkonflikten agieren. Gemäss der EU-Verordnung ist es ihnen untersagt, Beratungsleistungen zu erbringen, um eine mögliche Beeinträchtigung der Objektivität zu verhindern.
     
  • Transparenz und Offenlegung:
    Ratingagenturen sind dazu verpflichtet, Methoden, Modelle und Annahmen offenzulegen, um zu gewährleisten, dass Anleger die Bonitätsurteile nachvollziehen können. Bei Ratings für komplexe Finanzprodukte ist eine besondere Kennzeichnung erforderlich, ausserdem müssen fehlende historische Daten sichtbar gemacht werden. Die Qualität der Ratings soll anhand jährlicher Transparenzberichte und interner Kontrollstellen überprüft und sichergestellt werden können.

Die EU-Verordnung fordert von Ratingagenturen die Einhaltung hoher Qualitätsstandards und schreibt die Überwachung durch eine Aufsichtsbehörde, die ESMA, vor. Im Unterschied zur EU gibt es in der Schweiz bislang keine ständige Aufsicht in diesem Bereich. Im Zusammenhang mit der Verwendung von Ratings für aufsichtsrechtliche Zwecke hat die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA in ihrem Rundschreiben 2012/1 Vorgaben und Anforderungen für die Anerkennung von Ratingagenturen festgelegt und orientiert sich dabei ebenfalls an Kriterien wie Objektivität, Unabhängigkeit, Transparenz, Offenlegung und Glaubwürdigkeit. Die von der FINMA anerkannten Institute werden in einer Liste veröffentlicht. Die Anerkennung durch ausländische Aufsichtsbehörden wird von der FINMA ebenfalls in ihre Beurteilung einbezogen, sie bezieht sich dabei ausdrücklich auf die geltende Regulierung in der EU, den USA, in Japan und Australien.

Pflichtverletzungen seitens der Ratingagenturen münden in hohen Bussen

Verletzungen von geltenden Bestimmungen durch die Ratingagenturen werden streng geahndet und können hohe Bussen nach sich ziehen, wie sich jüngst auf EU-Ebene gezeigt hat. Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA hat innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten zwei Ratingagenturen aufgrund von Verstössen gegen die EU-Verordnung gebüsst.

Im März 2023 wurde gegen die Ratingagentur S&P eine Geldbusse in der Höhe von EUR 1,11 Mio. wegen vorzeitiger Veröffentlichung von Kreditbewertungen verhängt. Gemäss Feststellungen der ESMA hatte S&P zwischen Juni 2019 und September 2021 in sechs Fällen Ratings publiziert, bevor die betreffenden Wertpapiere von den bewerteten Unternehmen ausgegeben und am Markt angekündigt worden waren. Dies war auf Mängel in den internen Kontrollverfahren von S&P, welche die Einhaltung ihrer Pflichten in Bezug auf die rechtzeitige Offenlegung von Bonitätsbewertungen hätten sicherstellen müssen, zurückzuführen und stellte eine Verletzung der Transparenzanforderungen dar. (Zur Medienmitteilung der ESMA)

Ein Jahr später, im März 2024, wurde Scope Ratings mit EUR 2,197,500 gebüsst, weil das Unternehmen Vorgaben der EU-Verordnung in Bezug auf die Handhabung von Interessenkonflikten missachtet hatte. Die von der ESMA festgestellten Verstösse basierten auf strukturellen Mängeln in den Richtlinien, Verfahren, internen Kontrollmechanismen und organisatorischen Vorkehrungen von Scope. Im Weiteren resultierten zwei Pflichtverletzungen aus potenziellen Interessenkonflikten einer bestimmten Person sowie der Nichtoffenlegung von Nebendienstleistungen für eine bewertete Einheit. Alle Verstösse seien Folge von Fahrlässigkeit der Ratingagentur. (Zur Medienmitteilung der ESMA)

Fazit

Die Auswirkungen einer Bewertung durch Ratingagenturen sind sowohl für Anleger als auch das bewertete Subjekt weitreichend. Vor diesem Hintergrund sind Bemühungen zur Erhöhung der Ratingqualität und Bewahrung von Transparenz und Unabhängigkeit zu begrüssen. So gedenkt die ESMA gemäss ihrer Strategie 2023-2028 entschlossener gegen Regelverstösse vorzugehen und wenn nötig härtere Sanktionen zu verhängen.

06.06.2024