Wirecard: Der Aufstieg und Fall eines Vorzeigeunternehmens

Wie es zur Insolvenz kam

Wirecard, einst deutsches Vorzeigeunternehmen und Dax-Konzern, musste im Juni 2020 Antrag auf Insolvenz stellen.

Wirecard entwickelte sich ab 2010 mittels Akquisitionen rasant zu einer weltumspannenden Unternehmensgruppe mit 8 Mrd. Euro Jahresumsatz. Schwerpunkttätigkeiten bildeten die Bereiche elektronische Zahlungsabwicklung sowie Kredit- und Prepaid-Karten.

2015 berichtete die Financial Times (FT) erstmals über Unstimmigkeiten und Manipulationen in der Wirecard-Bilanz. Wirecard bestritt die Vorwürfe stets und reichte Klage gegen die FT ein. Die deutsche Finanzmarktaufsicht BaFin sah sich schliesslich 2019 veranlasst, Wirecard zu Hilfe zu kommen und ein zweimonatiges Leerverkaufsverbot für die unter Druck geratene Wirecard-Aktie zu erlassen sowie Strafanzeige gegen einen FT-Journalisten wegen Marktmanipulation einzureichen. Der Markt nahm die Behörde seither als «verlängerten Arm» von Wirecard wahr. Nachdem kurz darauf der ordentliche Wirtschaftsprüfer das Testat für die Bilanz 2019 aufgrund fehlender Kontoguthaben über 1.9 Mrd. Euro (ein Viertel der Bilanz!) verweigerte, blieb dem Unternehmen nichts anderes übrig, als den Insolvenzantrag einzureichen.

Versagen der Institutionen

Nach der grossen Finanzkrise von 2008 tat es gut, Unternehmen wie Wirecard gedeihen zu sehen, die mit raschem erfolgreichem Wachstum und Finanzinnovation glänzen konnten. Auch die BaFin erlag der «Aura» von Wirecard und liess es an kritischer Distanz zum Unternehmen fehlen. Dass sich die Finanzmarktaufsicht nachträglich damit zu rechtfertigen versuchte, sie habe keine Aufsicht über die Wirecard-Gruppe, sondern nur eine Einzelaufsicht über die relativ kleine Wirecard Bank ausgeübt, half ihr nicht mehr. Denn ihr tatsächliches Verhalten vermittelte den Eindruck einer Behörde, die gleichsam einer Innovationsförderungsagentur die vermeintliche Unternehmensperle Wirecard vor «ungerechtfertigten Vorwürfen» schützen wollte.

Auch das Bundesfinanzministerium machte sich mitschuldig. Als Aufsichtsbehörde über die BaFin liess sie diese (zu) lange gewähren. Erst mit dem Auffliegen des Skandals mussten der Chef und die zuständige Exekutivdirektorin für die Wertpapieraufsicht den Hut nehmen und Reformen wurden eingeleitet. Der Fall Wirecard zeigt exemplarisch das kollektive Versagen der deutschen Institutionen, begünstigt durch eine unkritische Haltung gegenüber hochgejubelten Starunternehmen.

Was bedeutet der Fall für die Schweiz?

Die Antwort muss differenziert ausfallen. Wirecard wäre in der Schweiz so nicht möglich gewesen, beruhen die Schweizer Institutionen doch auf institutionell abgesicherten und durchdachten «Checks and Balances». Die Unabhängigkeit der Finanzmarktaufsicht FINMA ist gesetzlich garantiert und wird respektiert. Dass sich die FINMA schützend vor ein schlingerndes Unternehmen stellen würde, ist unwahrscheinlich.

Auf der anderen Seite bestehen im Schweizer Recht gewisse Lücken in der Gruppenaufsicht. So wäre Wirecard durch die FINMA wohl nicht als Finanzgruppe konsolidiert beaufsichtigt worden, weil sie nicht hauptsächlich im Finanzbereich tätig war. Mit einer Einzelaufsicht nur über die Bank wären ähnliche Gefahren wie in Deutschland verbunden gewesen. Abhilfe könnte die Einführung eines Auffangtatbestandes schaffen. Falls von einer nicht im Finanzbereich tätigen Unternehmensgruppe eine besondere Gefährdung für den Finanzmarkt ausgeht, könnte die FINMA diese der Gruppenaufsicht unterstellen, um Fälle wie Wirecard möglichst zu verhindern.

01.07.2021